Page 17 - Stadtanzeiger 05.2015
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Netzschkauer Stadtanzeiger Nummer 5 17 Samstag, 23. Mai 2015 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges Dabei hätte so vieles auch hier ehrlich aufgearbeitet werden müs- – 70 Jahre Befreiung sen: Eigene Schuld und auch Scham über im Namen Deutschlands verübte Verbrechen, Verbitterung über erlittenes Leid, Hunger und Das sagt sich heute so leicht, 70 Jahre danach: Befreiung! Schwarzmarkt, Vertreibung und Enteignung. Wir wollen an dieser Stelle versuchen, in den nächsten Monaten weitergehend zur historischen Wirklichkeit des Kriegsendes 1945 – mit all seinen Widersprüchen und der Vielfalt menschlicher Erfah- rungen auch hier in unserer Heimatgemeinde – zu recherchieren. Leider sind öffentlich zugängliche Quellen über die Geschehnisse des Frühjahrs und Sommers 1945 auf dem Gebiet der heutigen Ge- meinde Limbach nicht sehr zahlreich. Den wohl interessantesten und auch realistischsten Artikel fanden wir im Geschichtsmagazin HISTORIKUS Vogtland Heft 2/2015, Seiten 20 – 24. Dr. Andreas Krohne schreibt über Zeitzeugenberichte u.a. auch aus unserem Nachbarort Pfaffengrün. Wir haben die Genehmigung der HISTORIKUS-Redaktion und können mit der vorliegenden Ausgabe des Stadtanzeigers auch diesen Artikel mit in Kopie an Interessierte verteilen (falls an den Verteilstellen vergriffen, bitte in der Gemeindeverwaltung Limbach nachfragen). Der ehemalige Plauener Landrat Alfred Beschorner (bis Herbst 1944 im Amt) erlebt das Kriegsende im April 1945 mit seiner Fa- milie im Forstamt Herlasgrün und schreibt zum Dienstag, dem 17. April 1945: „… nachts ab 0.30 Uhr begann die Beschießung von Herlasgrün und Umgebung und dauerte bis gegen 6 Uhr morgens. Dann wieder ab 7 Uhr bis ca. 10 Uhr. Der Artillerie-Beschuss erfolgte aus Richtung Elsterberg und Plauen … gegen 12 Uhr sahen wir den ersten amerikanischen Jeep mit drei Mann und Maschinengewehr dorfeinwärts fahren. Alles ging friedlich zu. Die mit weiteren Jeeps anrückenden Amerikaner besetzten das hiesige Gemeindeamt mit einigen Mann und fuhren dann nach Limbach weiter, wo die Kom- mandantur für Herlasgrün und Limbach eingerichtet wurde. Wir waren nun in feindlicher Hand – der Krieg war für uns zu Ende.“ (aus Jean Curt Röder, 1945 – Als der Krieg zu Ende war, Vogtländischer Heimatverlag Neubert, Plauen, 2005: Seiten 217 – 236) Einen Tag vorher wurde am 16. April 1945 um 12.40 Uhr noch die Elstertalbrücke in Jocketa von der Wehrmacht gesprengt. Das Kommando dazu stand unter dem Befehl des Sprengmeisters Hauptfeldwebel Kurt Reinhardt. Dieser wurde von den Amerika- nern bis Helmsgrün verfolgt und dort erschossen (wahrscheinlich noch am 16. April 2015). Gott sei Dank konnte die Sprengung der Göltzschtalbrücke verhindert werden. Dem mit der Leitung der Sprengung beauftragten Offizier wurde bei einem Arzt eine er- höhte Dosierung von Schmerzmitteln verabreicht. Als er wieder klar war, waren die Amerikaner schon da! So einfach wie auf der Fotomontage von Jewgeni Chaldej (Titelseite In der nächsten Ausgabe des Stadtanzeigers mehr zu diesen denk- ZEIT-Geschichte 1/2015) dargestellt, war das allerdings nicht! würdigen Tagen des Jahres 1945 im Gebiet von Limbach und sei- nen Ortsteilen. Wir würden uns über Hinweise dazu sehr freuen. Die meisten Menschen in Deutschland sind erst nach dem 8. Mai Text und Fotos: Siegfried Töllner 1945 geboren und kennen dieses damalige historische Ereignis nur aus Filmen, Büchern, dem Geschichtsunterricht. Seltener aus Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. 1985, als der kürzlich ver- storbene ehemalige Bundespräsident Richard von Weizäcker den 8. Mai 1945 einen „Tag der Befreiung“ nannte, war dieses Wort in der damaligen (östlichen) DDR zu diesem Zeitpunkt schon fast zum „Unwort“ verkommen – in der (westlichen) Bundesrepublik noch fast ein „Fremdwort“! Leider gab es in den ersten Jahrzehnten nach 1945 insgesamt in Deutschland keine ehrliche Aufarbeitung der schrecklichen Er- eignisse in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Auch hier in unserer Vogtland-Heimat schon mal gar nicht – die neuen Machthaber ab dem Sommer 1945 wollten ein neues, weltfremdes Regime errich- ten. Dabei war objektive Wahrheit nur „hinderlich und verpönt“, ja sogar in Teilen „verboten“!
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